Nicht nur schweigen
Eichendorffschule gedenkt der Ermordung des Lehrers Samuel Paty


Weil er im Unterricht eine Karikatur des Propheten Mohammed zeigte, um darüber zu diskutieren, was Meinungsfreiheit bedeutet, wurde der Geschichts- und Geografielehrer Samuel Paty am 16. Oktober 2020 bei einem islamistischen Anschlag in einem Pariser Vorort auf offener Straße von einem 18-jährigen Schüler enthauptet. Dieses Ereignis hat auch in Deutschland viele Lehrer getroffen. So auch an der Eichendorffschule in Kelkheim: „Dass ein Kollege seinen Einsatz für die Meinungsfreiheit mitten in Europa mit dem Leben bezahlen muss, hätte ich kaum für möglich gehalten“, sagt Geschichtslehrer Roland Struwe. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen sowie der Schülervertretung (SV) wollte er das Thema in der Schule aufgreifen. Aber wie reagiert man angemessen darauf? Eine Schweigeminute? Keine schlechte Idee, aber wissen die Schüler danach überhaupt, für wen und warum sie geschwiegen haben. Nach kurzer Beratung entschlossen sich die Kollegen schließlich dazu, im Foyer einen Tisch mit Foto, Kerze und Kondolenzbuch aufzustellen. Die SV hat eine Info-Pinnwand gestaltet. „Liberté, Égalilté, Fraternité“, ist dort in großen Lettern zu lesen. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, die Werte, die seit der Französischen Revolution 1789 in zahlreiche Länder ausgestrahlt haben. Werte, die nun von radikalen Islamisten bedroht werden. Damit die Schüler verstehen, worum es geht, hat Geschichtslehrer Carsten Haubl einen Aushang verfasst und betont darin: „Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Frankreich und in Deutschland ein hohes Gut. Meinungsfreiheit funktioniert aber nur in einem Klima der Toleranz, in dem sich alle Menschen gegenseitig achten und respektieren. Wir stehen als Schulgemeinde daher für einen offenen und fairen Dialog miteinander, voller Respekt für das Gegenüber. Hass und Gewalt, ob mit Worten oder Taten, dürfen deshalb nie eine Antwort sein, ganz egal, wie sehr sich die Menschen oder deren Meinungen unterscheiden.“
Seit letzter Woche haben die Schüler die Möglichkeit, der Schulgemeinschaft der betroffenen Schule und der Familie zu kondolieren. Zahlreiche Schüler haben sich bereits eingetragen – auf Deutsch, Englisch oder Französisch. Damit dies gut gelingt, hat Französisch-Lehrerin Isabelle Jaunet ein paar Textbausteine bereitgestellt. „Die Schüler kommen miteinander ins Gespräch“, stellt sie fest. „So soll es sein.“ In der kommenden Woche wird das Buch dann an das Collège du Bois d’Aulne in Conflans-Sainte-Honorine geschickt. „Dies soll ein Zeichen der Anteilnahme und Solidarität sein. Unsere französischen Kollegen, die Schüler und die Familie Paty sollen wissen, dass wir in Gedanken bei ihnen sind und dass uns dieser verabscheuungswürdige Anschlag bestürzt“, sagt Roland Struwe.
Eine Gedenkminute gab es dann dennoch. Das Kultusministerium hat sich einem Aufruf des französischen Bildungsminister Jean-Michel Blanquer angeschlossen und diese für den 2. November angesetzt. Nun aber wissen viele Schüler schon eher, warum sie geschwiegen haben.

