"Unsere Türen stehen offen" — jüdisches Leben im Dialog
vom 16.01.2013
Spätestens in der neunten Klasse kommt in Deutschland jeder mit dem Thema Drittes Reich und Holocaust in Berührung. In nur wenigen Wochen wird die Zeit von der Machtergreifung 1933 bis zur Kapitulation 1945 im Fach Politik und Wirtschaft (Powi) behandelt. Die Klasse G9c der Eichendorffschule in Münster ist da keine Ausnahme. Gemeinsam mit Lehrer Roland Struwe haben sich die Schüler dem Thema genähert.
Nach einer Begegnung mit einer Zeitzeugin ist Schülerin Chiara Born beim Zeitunglesen auf die Fotoausstellung von Rafael Herlich gestoßen — dann ging alles ganz schnell. Gestern wurde dessen Bilderschau "Jüdisches Leben im Dialog" im Foyer der Schule offiziell eröffnet. "Genau so hab‘ ich mir das vorgestellt", sagt der Frankfurter Fotograf bei der Premiere. In Gruppen drängen sich die Schüler um die Stellwände. Die Bilder zeigen das jüdische Leben in Deutschland, kurze Texte unter den Bildern erklären, was nicht offensichtlich ist.
Bilder von religiösen Festen und Bräuchen wie Purim, Pessach oder Schawuot hängen neben eindrucksvollen Momentaufnahmen: der Papst beim Besuch einer Synagoge, oder ein Foto von jährlichen Treffen der Religionen am Frankfurter Flughafen. Beeindruckend ist die Aufnahme eines Großvaters, der mit seinem Enkel über den Bahnsteig spaziert, auf dem er sich bei der Deportation durch die Nazis von seiner Mutter verabschieden musste. Oder ein jüdischer Bundeswehrsoldat, der sich Tallit (Gebetsschal) und Tefillin (Gebetsriemen) anlegt, und sich so für das Morgengebet vorbereitet. Aber auch die Begegnung nimmt viel Raum ein: Drei Fußballer im Trikot eines jüdischen Vereins schauen in die Kamera — aber nur einer von ihnen ist Jude, einer Moslem, ein anderer Christ. Und doch wurden alle drei als Juden beschimpft, erklärt Herlich kopfschüttelnd. Er fühlt sich verpflichtet, sein Wissen weiterzugeben und hofft, dass er mit dem Projekt mindestens 10 000 Schüler pro Jahr erreichen kann: "Unwissenheit befördert den Hass, unsere Türen stehen offen, nur eintreten muss dann jeder selbst."
Noch bis zum 4. Februar sind die Bilder im Foyer der Eichendorffschule, Lorsbacher Straße, zu sehen. Auch für alle, die nicht mehr schulpflichtig sind.
(Text und Foto: mkn)