Sie können ihr „Primetime“-Programm nun selber wählen
vom 27.06.2015
123 Eichendorffschüler haben das Abi in der Tasche. Und die Beste von ihnen trotzt sogar einem Handicap.
„Ich habe versucht, mein Bestes zu geben.“ Fast klingt es ein wenig, als stapele Lisanne Gossel tief. Dazu hat die 17-Jährige aber überhaupt keinen Grund — im Gegenteil: Die Lorsbacherin hat an der Eichendorffschule (EDS) Münster gemeinsam mit Robert Holla und Leonard Kierer das beste Abitur hingelegt — das Trio kommt auf die Traumnote 1,0. Sie habe ja „schon sehr viel gearbeitet“, räumt Lisanne dann ein. Dass am Ende das Top-Ergebnis steht, habe sie aber doch ein wenig überrascht.
Es ist so oder so eine beeindruckende Leistung der jungen Frau, die sich im grün-schwarzen Kleid richtig schick gemacht hat für die Übergabe der Abi-Zeugnisse in der Stadthalle. Während rund 500 Personen im feinen Zwirn — Schüler, Lehrer, Eltern, Geschwister, Omas, Opas und Freunde — in den Saal strömen, erzählt Lisanne kurz ihre Geschichte. Sie habe auf beiden Augen nur 25 Prozent Sehkraft. „Ich bin sehr froh, dass ich trotzdem meinen Schulweg ganz normal gehen konnte“, erklärt sie. Sie wolle aber nicht, dass dies nun als besondere Leistung gesehen wird, schickt sie bescheiden hinterher. Im Unterricht habe sie ein mobiles Lesegerät verwendet, manche Blätter wurden größer ausgedruckt, und bei den Prüfungen habe sie etwas mehr Zeit als die Schulkameraden bekommen. Nun möchte Lisanne zwei Monate nach England gehen und danach Physik zu studieren.
Schulleiter Stefan Haid zieht den Hut vor dieser Leistung — und vor der „seiner“ anderen 122 erfolgreichen Abiturienten (siehe „Info“). Gleich zu Beginn der Feier lässt er sie alle aufstehen und gönnt ihnen den verdienten Sonderapplaus. „Sie haben sich meist gut vorbereitet, und 27 haben sogar eine Eins vor den Komma“, freut sich Haid über den guten EDS-Notenschnitt von 2,5. Mit der Jahrgangszahl 2015 spielt er in seiner munteren Ansprache und bringt den Fernsehvergleich: Die Schüler hätten nun nach der Tagesschau um 20.15 Uhr die „Primetime auf einen der begehrten Sendeplätze“ erreicht. „Sie haben die Fernbedienung in der Hand und können die Sender wählen“, sagt Haid und zählt auf: von „Nix wie weg“ mit dem Auslandaufenthalt über den FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr)-Kanal, die Wissenschaftssendung an der Universität bis zum Privatfernsehen „Bei Muttern zu Haus ist es am schönsten“. Die EDS-Kollegen hätten die Gruppe gut vorbereitet. Haid wünscht sich, dass möglichst viele Abi-Eleven den Kontakt nicht abreißen lassen und später als Ratgeber für jüngere Schüler zurückkehren.
Dann geht’s an die Ausgabe der Zeugnisse — eine lange Prozedur, aber ein besonderer Moment für jeden Einzelnen. Da kommt zuerst der mit vier Schülern winzige Musik-Leistungskurs auf die Bühne. „Klein, aber sehr fein“ sei dieser, sagt Lehrer Rüdiger Amann und schickt Kritik nach Wiesbaden: Bei den Kürzungsplänen des Ministeriums seien solche „nicht selbstverständlichen“ Angebote an der EDS in Gefahr. Schulleiter Haid spendet spontan Applaus, er ist ebenfalls gegen die Landespläne (Bericht folgt).
Interessiert wird’s auch, als Paul Bolls Physik-LK die Bühne betritt — ein Dutzend schwarz gekleidete, junge Herren — und eine junge Dame in Rot. „Wir haben viel zusammen gearbeitet und viel zusammen gelacht“, schwärmt Boll. Ähnlich anerkennend geht es weiter, bis zum Abschluss die Schüler Nora Friedrich und Luke Bliedtner in einem munteren Dialog ihre Lernzeit noch mal Revue passieren lassen.
Auch Robert Holla und Leonard Kierer nehmen ihre 1,0-Zeugnisse entgegen. „Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das gehört habe“, sagt Leonard (18). Der Liederbacher hat nach den Weihnachtsferien mit dem Lernen begonnen. Er hatte die Leistungskurse Deutsch und Englisch, will aber Medizin studieren — vielleicht in Kombination mit Philosophie. Robert hat sich nach Grübeln für Betriebswirtschaft entschieden, möchte später im Management arbeiten. Der 17 Jahre alte Hornauer hatte die Schwerpunkte Chemie und Po-Wi (Politik und Wirtschaft), sechs bis sieben Wochen hätten für ihn zum Lernen ausgereicht. „Ich hätte aber nicht gedacht, dass ich das schaffe“, sagt er zur Traumnote. „Aber es ist ein super Gefühl, da hat sich die Schule mal gelohnt.“
Besondere Ehrungen
Das hat es sich auch für alle anderen EDS-Absolventen. Und für einige noch ganz speziell. Für besondere Leistungen in den Naturwissenschaften vergibt die Eichendorffschule Sonderpreise an Lisanne Gossel (beste Schülerin in Mathematik), Leon Peyman (Chemie) sowie Patrick Leibersperger und Thomas Rothenbächer (beide Physik). Kelkheims Stadtrat Wolfgang Männer ehrt für die Stadt die drei Eleven mit der Note 1,0 mit einem Extrapräsent.
(wein)