Ihr Film haucht Käfer Gregor neues Leben ein
vom 04.01.2014
Die 19 Jahre alte Noemi Kelemen aus Liederbach hat mit einem Animationsfilm bei der Visionale Hessen, dem Hessischen Jugendmedienfestival, den ersten Preis in ihrer Alterskategorie gewonnen. Ihr drei Minuten langer Streifen „Die Samsas“ erzählt Franz Kafkas „Die Verwandlung“ aus einer neuen, anrührenden Perspektive.
Der kleine Käfer Gregor, der morgens in seinem Bett erwacht und sorgenvoll-süß grummelt, ist dem Zuschauer sofort sympathisch — ganz anders als in Kafkas Original, in dem Gregor sich in ein wirkliches hässliches Ungeziefer verwandelt und so mit der Unzulänglichkeit seiner Existenz konfrontiert wird. Bei Kafka gerät Gregors Leben zu einem unwürdigen Dasein, verachtet von der Familie endet es im Tod. Bei Noemi Kelemen ist es anders: Da ist das Ungeziefer ein knuddeliger Käfer, dessen Bewegungen sehr an die von Noemis Hund Idefix erinnern, und der ein neues, glückliches Krabbler-Dasein findet.
Genau darum ging es Noemi Kelemen: „Als wir das Buch in der Schule gelesen haben, da war ich eigentlich die Einzige in der Klasse, die mit Gregor Samsa Mitleid hatte. Alle anderen waren der Meinung, das geschähe Gregor recht.“ Dieser Ansatz, die liebevolle Erzählung aus der Sicht Gregors, ist einer der Punkte, die die Jury der Visionale Hessen überzeugt haben. Sie lobt: „Dass diese Geschichte — im Gegensatz zur literarischen Grundlage — ein Happy End hat, macht den Film und die Filmemacherin sehr sympathisch. Die wunderbaren Zeichnungen mit vielen Details gerade in der Mimik des Käfers sind eine beachtenswerte Leistung der Filmemacherin.“
Noemi Kelemen mit ihrem Hund Idefix, im Hintergrund der Bildschirm, an dem sie den Animationsfilm "Die Samsas" produziert hat. Und sie gibt zu: Käfer Gregor hat ein bisschen was von Hündin Idefix.
1500 Einzelbilder
Vor allem vor dem Hintergrund, dass das der erste Animationsfilm der 19-Jährigen ist. Sie produzierte ihn für den Kunst-Leistungskurs. Lehrerin Gwendolin Wardi hatte den Auftrag erteilt, Kurzfilme zum Thema „Begegnungen“ zu produzieren. Noemi Kelemen entschied sich für einen Animationsfilm — eine aufwendige Angelegenheit. Den Umgang mit der professionellen Software Toon-Boom-Studio habe sie sich quasi während des Produktionsprozesses beigebracht. „Aber ich nutze vielleicht zehn Prozent der Möglichkeiten des Programms.“ Zehn Bilder pro Sekunde musste sie zeichnen auf dem Pad, mehr als 1500 Einzelbilder. Wochenlang hat sie am Film gearbeitet, „und die letzte Nacht habe ich sogar durchgemacht“. Ihr Bruder Marcell Kelemen, ein Musiklehrer, produzierte den Ton samt Türengeklapper, Fußgetrappel, Klavierklängen und knuffigem Grunzen.
13 Punkte hat Noemi Kelemen für ihr Filmwerk bekommen. Für die Visionale hat sie noch ein bisschen daran gefeilt. Dass sie einen Preis gewinnen würde, daran habe sie gar nicht gedacht. Es sei schon toll, wenn ihr Film überhaupt gezeigt werde.
Aber für Noemie Kelemen haben sich dieses Projekt und der Preis in besonderer Weise gelohnt. „Ich weiß nämlich jetzt, was ich will“, sagt sie. Noemi Kelemen ist ungemein kreativ, ihr Zimmer ist eine Art Noemi-Museum, die Tapete ist voller selbstgemalter Bilder, auf ihrer Computertastatur ist jede Taste bemalt, sie strickt witzige Mützen und näht, spielt Geige und Klavier und hat eine schier grenzenlose Phantasie. „Ich beschäftige mich mit allen Arten von Kunst und lese viel.“ Griechische Sagen gehören zu ihrer Lieblingslektüre. „Aber ich wollte nicht einfach nur Kunst studieren — weil was macht man dann mit Kunst?“, schildert sie ihre Überlegungen.
Jetzt weiß sie, dass sie Animationsfilme machen will, wie die Profis bei Pixar oder Dreamworks. Am liebsten möchte sie an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg studieren, „das ist die beste Schule“, weiß sie. Die Zugangsvoraussetzungen sind hart, ein langes Praktikum ist Eingangsbedingung. Doch Noemi Kelemen scheint fest entschlossen, arbeitet schon am nächsten Animationsstreifen, wird jetzt an der Eichendorffschule in Kelkheim ihr Abitur machen und dann ihren Traum vom Animationsfilmemacher verfolgen. „Die Edda, skandinavische Götter- und Heldensagen, wurden noch nicht verfilmt“, grinst Noemi Kelemen. Vielleicht wird es auch noch eine Fortsetzung von „Die Samsas“ geben, überlegt die Schülerin.
(Michelle Spillner)